ER NEIGT ZU GROSSEM

T.M. Rotschönberg und Freunde organisieren »Form Farbe Geste", ein Kunstereignis auf Schloss Augustusburg

In Siebenlehn über den Markt, vor der Kirche rechts und dann der Hauptstraße folgen", beginnt er seine Wegbeschreibung. Später geht es entlang der Mulde durch ein Fabrikgelände zu einem abgeschiedenen Haus. Als wir ankommen, hat sich Dr. Thomas Müller bekannter als T.M. Rotschönberg, bereits mit dem sonnigen Tag angefreundet. Er frühstückt im Garten. Das große Haus bewohnt er allein. Er scheint die Ruhe zu genießen - vor allem, wenn er malt. »Sobald ich ins Atelier gehe, habe ich eine Konzeption im Kopf, die ich verwirklichen möchte. An Käufer denke ich dabei nicht. Aus der Zeit, als ich an der Bergakademie Freiberg promovierte, kenne ich noch viele Freunde, die ein Bild von mir aufhängen würden. Sie sind nur einfach zu groß. Und obwohl ich gegen Aufträge nicht prinzipiell etwas habe, konnte ich die Wünsche bisher nicht erfüllen. Wenn ich anfange, schwebt mir eben etwas Größeres vor - und dann sage ich immer wieder, das Format 70x80 kannst du andermal machen. Das geht jetzt schon ein paar Jahre so. Beim Malen schalte ich irgendwie auf Idealismus um. Beim Verkaufen bin ich übrigens nicht mehr so ein Idealist." Aber derzeit hat er weder Zeit fürs Malen noch für den Verkauf. Rotschönberg organisiert mal
   

wieder ein Kunsterlebnis. ,,Seit der Wende gab es nur wenige reine Malerei-Ausstellungen", erzählt er. »Das ist ja auch nicht mehr so populär. Heute sind Installationen gefragt, Konzept-Art oder Multimedia-Projekte. Viele Maler erleben gerade, wie reiner Malerei die Anerkennung vorenthalten wird. Deshalb wollen wir sie in ihrer vollen Vitalität zeigen, in Form, in Farbe, in Geste. Die informelle Kunst der letzten dreißig Jahre war ohne Form. Der Konstruktivismus, in Form erstarrt, entbehrt hingegen jeglicher Geste. Sich keinem Stil unterzuordnen, ist unser Anliegen. Und das ist der Brückenschlag, der die ganze Ausstellung bestimmen soll. Eine Synthese, wie sie auch in der Musik erlebbar wurde. Beispielsweise in den Konzerten von Soft Machine." Aufs Stichwort klingelt das Telefon. John Marshall ruft gerade an, um noch ein paar Details abzusprechen. Und plötzlich kommt in dem Örtchen Obergruna ein Hauch von Musikgeschichte an. Der ehemalige Schlagzeuger von Soft Machine hat die Zeit von Zappa mitgestaltet, von King Crimson, die Zeit als Jazz, Rock und klassische Musik ineinanderschmolzen. Und nun, Jahrzehnte später tritt er mal eben gemeinsam mit Hugh Hopper (einst Soft Machine), Keith Tippett (gastierte auf drei King-Crimson-Alben) und Elton Dean (zeitweilig Soft Machine) auf - zur Ausstellungseröffnung von » Form Farbe Geste" am 4. September auf Schloss Augustusburg. Die englische Musikpresse glaubt es kaum, zu lange liegen die legendären gemeinsamen Auftritte zurück. Soft Machine hat in den Jahren 1967 bis 71 als erste Gruppe der Welt eine Synthese aus den Experimenten der Avantgarde-Musik, John Cage oder Stockhausen, und der elektronischen Musik erzeugt. ,,Sie hatten nicht die Melodie als Medium, vielmehr den Sound oder

 

eben das Geräusch, fusioniert mit der Hitze des amerikanischen Free-Jazz. Damals wurde diese Musik als Fusion bezeichnet. Das ist durchaus passend". erklärt der promovierte Chemiker. ,,Ich kann Wasserstoff und Sauerstoff mischen, aber das Ergebnis ist heterogen. Im Detail bleiben nämlich sowohl Sauerstoffmoleküle als auch Wasserstoffmoleküle. Erst wenn ich beide Stoffe zur Reaktion bringe, entsteht etwas Neues, das Wasser. Und das ist homogen. So muss man das auf die Musik von King Crimson oder Soft Machine übertragen. Statt der Erscheinung muss man das Wesen fusionieren, denn sonst erhält man eine Mixtur, keine Synthese." Ein leichter Gedanke, der doch schwer umzusetzen ist. Rotschönberg versucht es trotzdem. »Der Befreiungsprozess der Malerei ist am Ende. Jetzt muss man mit der Freiheit etwas anfangen. Nicht einen leeren Rahmen aufhängen und sagen, ich befreie mich vom Bild. Das führt zum lrrsinn. Es gilt, die Befreiungsschläge aller Epochen zu nutzen. Da fragen Kunsthistoriker, ob ich jetzt impressionistische Pünktchen mit einer Jugendstillinie rahme. Nein! Der Impressionismus besteht aus den Erkenntnissen über das Licht, das Farbspiel, die Spektralzerlegung. Das muss man nutzen und mit dem Wesen anderer Epochen fusionieren. Künstler, die ähnlich denken oder arbeiten, habe ich nun auf Schloss Augustusburg eingeladen." Rotschönberg organisiert schon seit 1986 Ausstellungen auf eigene Faust. Als Chemiestudent hätte er gar nicht an eine Galerie heranzutreten brauchen, schließlich war er nicht im Verband. So entstanden eigene Ausstellungen, die er ,,Echo" nannte. ,,Holger Koch hat damals mitgemacht, Andreas Stelzer aus Chemnitz, Torsten Eckart oder Jean Schmiedel waren auch dabei. Und so konzipiere ich bis heute Ausstellungen, weil es

 

mir Spaß macht und ich größere Aktionen mag. Nach mehreren erfolgreichen Projekten hat mir dann auch die Stadt Freiberg ihre Hilfe angeboten. Erst zeigten sie mir den Kornmarkt als Ausstellungsort, aber dann schlug der Kulturamtsleiter die Nikolaikirche vor. Dort habe ich 60 Ölbilder auf zwei Emporen ausgestellt - sehr erfolgreich übrigens. Jedenfalls lernte ich damals das Kornhaus kennen, fünf Stockwerke und 60 Meter lang. Fast wie ein Warenhaus. Da entstand die Idee für eine Ausstellung mit mehreren Malern. Letztendlich scheiterte das Projekt, weil der Freiberger Kulturamtsleiter keinen Termin einhielt. Dann half kurzfristig das Landratsamt und schlug die Augustusburg vor. ,,Wir haben dort 400 laufende Meter Hängefläche. Das ist natürlich enorm. Bei zehn Malern sind das für jeden 40 Meter. Die Speicherböden des Schlosses waren bisher nicht zugänglich, sie sind gerade erst neu ausgebaut. Und sie erinnern gar nicht an eine Galerie. Aber nur weil der Ort ungewöhnlich ist, sortieren wir die Werke nicht gleich zur Installation, sondern lassen Raumwirkung und Bilder koexistieren." Am Eröffnungstag wird es zusätzlich eine ,,kollektive improvisatorische Umsetzung einer grafisch notierten Komposition" von Rotschönberg geben, vorgetragen von Free-Jazz-Musikern, Philharmonikern und Vertretern neuer Musik. Und am späten Nachmittag stehen Sartres ,,Fliegen" im Programm. Der französische Existentialist begeistert Rotschönberg schon viele Jahre lang, die Geschichte um Orest nennt er hochaktuell. ,,Orest kommt in die Stadt, um seine Heimat wiederzusehen. Er ist also ein Mensch mit Bindungen, mit einem Gefühl für Verantwortung. Deshalb befreit er die Menschen von der Schuld, obwohl er dafür die eigene Mutter töten muss. Seit der Erbsünde operieren

Machthaber mit Schuldgefühlen, doch Orest fühlt keine Schuld. Niemand wird ihm etwas anhaben können. Und das Allerbeste ist: Sartre beschreibt die Freiheit des Menschen als Verantwortung. Viele glauben, wenn sie keine Verantwortung übernehmen, sind sie frei. Sie irren. Sie sind nur unabhängig, nicht frei." Das Philosophieren liegt ihm, und sein Chemiestudium, so erklärt er, hilft beim abstrakten Denken. ,,Es hat mir eine kritische Methode vermittelt. Alles basiert auf wenigen Grundaxiomen, darauf baut sich alles auf und lässt sich stets aufs Neue herleiten. Wenn du damit umzugehen lernst, denkst du anders, hinterfragst immer wieder, negierst immer wieder. So gehe ich auch an die Malerei heran. Jede Idee, jede Vision zweifle ich wieder und wieder an. Viele Maler bleiben stehen, wenn sie erst Erfolg haben. Sie denken, das ist es jetzt und verkommen, unterwerfen sich billigen Attributen. Alle Welt sagt dann, jetzt hat er seinen Stil gefunden. Einfach, weil der Wiedererkennungswert heute eine große Rolle spielt. Das sind triviale Dinge zu denen ich nicht tauge"

Und deshalb gibt es ,,Form Farbe Geste" auf der Augustusburg.

Jenny Zichner

Schloss Augustusburg: Form Farbe Geste, 4. bis 30. Oktober / 4. Septermber Eröffnungsrede, Kollektive improvisatorische Umsetzung einer graphisch notierten

Komposition, Sartres »Fliegen", Konzert der Ex-Soft-Machine-Mitglieder John Marshall, Hugh Hopper mit Keith Tippett